Das Themenfeld Soziale Ökonomie erfährt seit einigen Jahren eine stetig wachsende mediale, politische wie auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Je nach Betrachtungsperspektive bestehen hierbei allerdings verschiedene Auffassungen darüber, was genau darunter zu verstehen ist. Die folgenden Zeilen sollen etwas Licht in die konzeptionelle Vielschichtigkeit des Themenfeldes bringen und Angebote eröffnen, wie Soziale Ökonomie fernab konventionellen Wirtschaftens gedacht werden kann.

Zur Entbettung der Wirtschaft von sozialen und kulturellen Bezügen

Der ungarisch-österreichische Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi zeichnet in seinem zentralen Werk The Great Transformation (1944) ein sehr düsteres Bild über den Zustand der Gesellschaft. Am Beispiel Englands stellt er dar, wie individuelles Streben nach Profiten schrittweise zur Triebfeder des Wirtschaftens wurde und dessen eigentlichen Zweck – die Sicherung des Lebensunterhaltes der Menschen – ablöste. Ökonomische Prinzipien sind in nahezu alle gesellschaftlichen Teilbereiche vorgedrungen und haben zu einer Aushöhlung sozialer Bezüge und kulturelle Eigenheiten geführt. Polanyi prägte hierbei den Begriff der Marktgesellschaft. Die ungezügelte Ausweitung von Marktmechanismen, so sein Urteil, führe letztlich zu sozialer Desintegration und trage dazu bei, die „menschliche und natürliche Substanz von Gesellschaften zu vernichten“ (Polanyi [1944] 1978: 19f.).

Auch wenn die Diagnosen von Polanyi bereits über 70 Jahre zurückreichen, haben seine Beobachtungen, dass sich die Ökonomie zunehmend von sozialen und kulturellen Bezügen gelöst hat, nichts hinsichtlich ihrer Aktualität verloren. Wirtschaft ist heute in weiten Teilen global organisiert, wobei Orte der Produktion und des Konsums zunehmend auseinanderfallen. Die Produktions- und Arbeitsbedingungen bleiben den KonsumentInnen hierbei ebenso im Verborgenen, wie die Konsequenzen in ökologischer Hinsicht. Während der Welthandel in den vergangenen Jahrzehnten rapide zugenommen hat, werden die global relevanten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen in wenigen Zentren gefällt. Zugleich führen die weltwirtschaftlichen Verflechtungen zu starken wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Teilräumen dieser Erde. Damit gehen kaum zu kalkulierende Risiken von globalem Maßstab einher, wie nicht zuletzt die vielfältigen Krisenerscheinungen (Finanzkrise, Klimakrise etc.) der vergangenen Jahre deutlich gemacht haben. Das Vertrauen in die Stabilität und die Nachhaltigkeit global organisierter Wirtschaftszusammenhänge scheint erschüttert:  Erfahrungen von Instabilität und Unsicherheit haben bei Vielen Fragen nach alternativen Wirtschaftsformen aufgeworfen.

Soziale Ökonomie als alternatives Wirtschaften in gesellschaftlicher Verantwortung

Ausgehend von diesen Krisenerscheinungen lässt sich die Soziale Ökonomie als ein alternativer Ansatz des Wirtschaftens charakterisieren, welcher den Menschen mitsamt seiner sozialen Bezüge, kultureller Prägungen und natürlichen Grundlagen ernst nimmt. Entsprechende Organisationen sind am Markt durch die Bereitstellung von Produkten oder Dienstleistungen aktiv und somit – im Gegensatz zu den meisten Vereinen und Wohlfahrtsorganisationen – nicht vordergründig von öffentlichen Zuwendungen, Spenden und Mitgliederzuwendungen abhängig. Sie übernehmen Verantwortung zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen und zeichnen sich durch ein hohes Maß an Partizipation und Teilhabe aus. Auf Grundlage dieser Kriterien umfasst die Soziale Ökonomie ein sehr breites Spektrum an Organisationen. Es reicht von Organisationen, die auf lokaler Ebene Lebensmittel gemeinschaftlich produzieren (z.B. solidarische Landwirtschaften) oder bereitstellen (genossenschaftliche Dorfläden) über Initiativen, die benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu Beschäftigung verhelfen bis hin zu Start-Ups im Getränkesegment, die mit ihren Überschüssen soziale Projekte finanzieren. Deren Entstehung ist dabei nicht zuletzt auf ein Umdenken vieler KonsumentInnen zurückzuführen, für die ethische und ökologische Aspekte in ihrer Kaufentscheidung eine zunehmend große Rolle spielen.

Soziale Ökonomie und die Rolle der öffentlichen Hand

In der öffentlichen Darstellung wird häufig ein sehr positives Bild sozial-ökonomischer Initiativen gezeichnet, indem diesen eine Vorreiterstellung bei der Gestaltung  gesellschaftlicher Transformation zugetragen wird. Dabei verkennt eine solche Darstellung, dass entsprechende Initiativen häufig gerade aus einem Hintergrund hervorgehen, wo weder reguläre Marktakteure (mangels finanzieller Anreize) noch die öffentliche Hand (mangels Finanzierungsspielräumen) agieren. So kam es im Zuge des Umbaus öffentlicher Sicherungssysteme dazu, dass zivilgesellschaftlichen/bürgerschaftlichen Akteure zunehmend Verantwortung für Aufgaben zugetragen wird, die originär dem privatwirtschaftlichen oder öffentlichen Sektor zuzurechnen sind. Ein Beispiel hierfür stellen Bürgerbusse dar, bei denen sich engagierte Menschen vor Ort selbstorganisiert zusammenschließen, nachdem der öffentliche Personennahverkehr eingestellt wurde. Aus dieser Perspektive ist auch kritisch danach zu fragen, inwieweit ehrenamtliches Engagement, welches sozial-ökonomischen Initiativen häufig zugrunde liegt, zur Kompensation übergeordneter struktureller Defizite eine fruchtbare Alternative bieten oder letztlich Ungleichheiten und Abhängigkeiten reproduzieren. So besteht die These, dass gerade Räume, in denen strukturelle Defizite und der Bedarf nach sozio-ökonomischen Alternativen besonders ausgeprägt ist, eher schwierige Voraussetzungen für entsprechende Initiativen bieten. Umso mehr erscheint es geboten, sowohl die Rahmenbedingungen und Hürden als auch die Potentiale und Möglichkeiten solcher Initiativen genauer unter die Lupe zu nehmen.